Tammos Gitarrenseite / Gedanken / Rhythmusgitarristen: zu wenig beachtet...

Rhythmusgitarristen: zu wenig beachtet...

Schlagt doch einmal eine durschschnittliche Gitarrenzeitschrift auf. Sucht die Seiten mit den Workshops (oder wie immer sie auch heißen). Was für Techniken werden vorgestellt? Man wird feststellen, daß 80% der Workshops sich mit dem Leadgitarrenspiel befassen, um mal eine beliebige Zahl aus der Luft zu greifen - der Trend ist jedenfalls eindeutig. Woher kommt das? Ich denke, das liegt daran, daß a) die Nachfrage größer ist und b) sich Rhythmusspiel nicht so einfach in schriftlicher Form vermitteln läßt wie Lick-Gniedelei.
Zu a): Wann fühlt sich der Gitarrist am stolzesten? Wenn er ein tolles Solo gespielt hat, natürlich, und die Menge frenetisch applaudiert. Wenn es an die Rhythmusparts geht, werden die Akkorde halt so runtergespielt - dieses Bild kann einem die Lektüre solcher Workshops vermitteln.
Zu b): Wie eine packende Rhythmusarbeit klingen muß, läßt sich nur schwer mit Worten sagen und noch weniger in Noten oder gar Tabulatur fassen - beide Medien können nur den groben Inhalt transportieren, nicht aber die Feinheiten, die den Unterschied zwischen uninspiriertem Geklampfe und einem Jahrhundert-Riff ausmachen.

Trotzdem will ich hier den Versuch wagen, mich ein bißchen über Rhythmusgitarre auszulassen. Um einfach vorweg mal ein paar Schlagworte in den Raum zu werfen: gutes Rhythmusspiel zeichnet sich aus durch:

1. Präzision
2. Kommunikation
3. Selbstlosigkeit
4. Kreativität

Von diesen vier Punkten ist Präzision vielleicht am einfachsten zu erlangen: das verlangt "nur" viel Arbeit und ausdauerndes Üben zum Metronom. Wenn Du Dir einen Rhythmuspart, ein Riff oder ähnliches ausgesucht oder ausgedacht hast, achte darauf, daß Du den Part vorwärts, rückwärts und seitwärts völlig sicher beherrschst. Die Spieltechnik darf kein Problem mehr darstellen. Das ist wichtig, damit Du Dich nicht mehr voll darauf konzentrieren mußt, was Du im nächsten Moment spielst. Es müssen im System MusikerIn genug Ressourcen frei sein, um auf den Rest der Band zu achten.

Kommunikation ist wohl der wichtigste Punkt bei guter Rhythmusarbeit. Als Gitarrist kann man noch so präzise auf den Punkt spielen, daß selbst eine Drummachine vor Neid erblaßt, wenn die Leute, mit denen man zusammenspielt, nicht die gleiche Präzision erreichen, ist das Resultat nicht hörenswert. Es nutzt auch nichts, darauf herumzureiten: "Ich war aber richtig!" zählt als Argument nicht. Timingschwankungen sind nämlich gar nicht schlimm - vorausgesetzt, die ganze Band schwankt geschlossen im Timing. Und da kommt die Kommunikation ins Spiel. Eine gut eingespielte Band zeichnet sich dadurch aus, daß die Musiker aufeinander reagieren. Wenn zum Beispiel der Drummer anzieht, dann müssen die anderen so selbstverständlich mitgehen, daß sich kein Bruch im Groove auftut - tatsächlich merkt kaum jemand im Publikum überhaupt, daß da ein sogenannter Timing-"Fehler" (der eigentlicht keiner ist) aufgetreten ist. Um diese Form der Teamarbeit zu verwirklichen, müssen alle Beteiligten von ihrem hohen Roß heruntersteigen und anfangen, sich zu verständigen.

Mit Selbstlosigkeit meine ich, daß das Rhythmusspiel in den Dienst des Songs zu stellen ist. Die Rhythmusparts haben nicht den Sinn, das Können des Ausführenden vorzuführen, sondern sie sollen den Song bereichern und stützen. Meiner Meinung nach sollten die Prioritäten immer so verteilt sein (in absteigender Reihenfolge): Der Song - Die Band - Die Solisten.

Kreativität ist von den genannten Punkten am schwersten zu erfassen - und sie läßt sich nicht erzwingen (zumindest gelingt mir das nicht). Dennoch ist es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen - gerade beim Rhythmusspiel. Ist das, was ich spiele, wenigstens einigermaßen originell? Habe ich genug Abwechslung dabei, um den Song auch nach 20mal Hören noch interessant zu gestalten? Paßt mein Part zum Rest des Songs? Wenn die Antwort auf diese Fragen "nein" ist, dann sollte ich mir schleunigst ein neues Riff ausdenken (oder den Rest des Songs ändern...).

Grundsätzliche Gedanken

Und wie verbessere ich nun mein Rhythmusspiel (falls ich das Bedürfnis dazu verspüren sollte)? Gibt es Bücher, Literatur?
Dazu muß ich sagen: weiß ich nicht.

Die wichtigste Quelle für eine Anleitung zum Rhythmusspiel ist die eigene Plattensammlung. Hör Deine Lieblingsplatte und versuche, zu analysieren, was musikalisch vor sich geht. Es hilft, wenn Du den Song auch raussschreibst oder schon als Transskription vorliegen hast. Der erste Schritt ist, mal nicht auf die Gitarren zu achten. Hör dem Drummer und dem Bassisten zu (oder nur dem Drummer). Versuche, den Rest der Band geistig "wegzublenden". Konzentriere Dich voll auf ein Instrument und überlege, was gespielt wird, warum und wie es wirkt. Exerzeiere dies für die meisten Instrumente im Mix durch. Dann nimm Dir das Zusammenspiel der Instrumente vor. Wie ergänzen sich die Parts? Ein Beispiel: ein oft verwendeter Trick ist, daß die Rhythmusgitarre das gleiche Riff immer wiederholt und der Bass darunter die Akkorde wechselt. Beide Stimmen für sich alleine sind simpel, aber in ihrer Zusammenwirkung interessant.
Versuche, zu ergründen, wodurch der "Groove" erzeugt wird, dieses schwer faßbare Gespenst, das manch ein Song hat und ein anderer wiederum nicht, obwohl sie fast denselben Rhythmus haben.

Einige technische Überlegungen zum Rhythmusspiel

Um Akkorde "tighter" zu kriegen, sollte man sie auch "tight" anschlagen - dies ist besonders wichtig in Stilen wie Funk, etc. Der Anschlag des Akkordes muß so schnell sein, daß der ganze Akkord auf einmal erklingt - ohne Arpeggio, alle Saiten müssen quasi gleichzeitig angeschlangen werden.
Damit das Rhythmusspiel mehr Punch bekommt, schlage die Akkorde auch mit "Dampf" an - hier wollen die Saiten nicht gestreichelt werden, um den nötigen Druck zu erzeugen. Sanftes, zurückhaltendes Spiel kann man auch mit dem brachialsten Amp nicht viel druckvoller gestalten.
Spiele dynamisch, versuche, die Dynamik aus dem Anschlag zu holen (und nicht aus dem Gain-Poti). Leise Passagen sollte man auch leise anschlagen, dann wirken sie überzeugender.
Stakkato-Riffs (gerade im Hard'n'Heavy-etc.-Bereich) sollte man, wenn es geht, immer mit Downstrokes spielen (bis zur Geschwindigkeitsobergrenze, bei der man auf Wechselschlag umsteigen muß), das wirkt gleichmäßiger und druckvoller.

Diese paar mageren Tips behandeln alle mehr oder weniger nur Punkt 1. der oben aufgeführten vier.

Zurück